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Der gläserne Patient? Die Auswirkungen von Digitalisierung im Gesundheitswesen auf die Gesellschaft

Ein Interview mit Laura Siebertz, Medienwissenschaftlerin und Kommunikationsexpertin von dermanostic

Der gläserne Patient? Die Auswirkungen von Digitalisierung im Gesundheitswesen auf die Gesellschaft

Johanna Vogel  15.07.2022

Unser Gesundheitssystem steckt gerade in einer Transformation: Viele Prozesse, die lange Zeit einen großen Aufwand, viel Papier und viel Bürokratie erfordert haben, werden aktuell nach und nach digitalisiert. So soll aus dem Papier-Rezept das eRezept werden. Neben einer vom Arzt verwalteten Patientenakte gibt es nun eine elektronische Patientenakte (ePA), über die der Patient seine Daten selbst verwalten kann. Lange Wartezeiten in Arztpraxen können durch telemedizinische Angebote umgangen werden. Künstliche Intelligenzen und virtuelle Realitäten werden immer präsenter. Die Veränderungen, die aktuell passieren, sind weitreichend. Wie verändert dieser Wandel die Gesellschaft? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, haben wir mit Laura Siebertz, Presseleiterin von dermanostic und studierte Kultur- und Medienwissenschaftlerin, gesprochen.

Welche Vorteile hat die Digitalisierung des Gesundheitssystem für unserer Gesellschaft?

Die Digitalisierung schafft neue Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten und vereinfacht die Kommunikation zwischen den einzelnen Akteuren des Gesundheitswesens, wie von Mediziner*innen und Patient*innen. Den Patient*innen selbst ermöglicht es eine bessere Verwaltung der eigenen Gesundheitsdaten, mit dem Beispiel der elektronischen Gesundheitskarte.

Außerdem ermöglicht die Digitalisierung neue Diagnostik- und Behandlungsmöglichkeiten: Tagtäglich werden neue medizinische Daten erhoben und erfasst, egal ob in Form von Röntgenbildern, Fotoaufnahmen von Hauterkrankungen oder Ergebnisse von Blutwerten. Bei der Auswertung und der Verknüpfung von Daten können neue Erkenntnisse zur Prävention und Krankheitsentstehung gewonnen werden, sodass eine individuelle Anpassung für die Therapie möglich wird.

Einen entscheidenden Beitrag bietet auch die Telemedizin mit der Möglichkeit der Videosprechstunde und dem Konzept der Teledermatologie. Diese Angebote ermöglichen eine qualitativ hochwertige und schnell verfügbare medizinische Versorgung und begegnen den Herausforderungen im deutschen Gesundheitswesen hinsichtlich des demographischen Wandels und dem Fachärztemangel.

Gibt es generelle Herausforderungen, die ein so großer Wandel für eine Gesellschaft mit sich bringt?

Viele Menschen sind dem Thema Digitalisierung gegenüber noch sehr skeptisch eingestellt. Wir Menschen sind evolutionsbiologisch vorsichtige Wesen und fürchten uns vor dem Unbekannten und somit auch schon einmal vor der Zukunft. So wie vor der Künstlichen Intelligenz, die manche gar an einen Science-Fiktion Film denken lassen.

Das ist natürlich paradox, wenn wir bedenken, dass die Technologie samt Künstlicher Intelligenz längst zu unserem Alltag und unserem gesellschaftlichen Miteinander gehört. Beispiele sind Sprachassistenten, Musikstreaming, Ads in Social Media oder Navigationssysteme. Die Künstliche Intelligenz unterstützt uns bei einfachen Aufgaben, sie gibt uns Tipps und Empfehlungen, sie macht unser Leben in vielen Bereichen einfacher und komfortabler. Wieso nicht auch in der Medizin?

Aber kulturelle Herausforderungen wandeln sich nur langsam, weshalb ich denke, dass es noch dauern wird, bis die Digitalisierung normaler Standard in der Medizin wird. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Protagonist*innen des Gesundheitswesens an einem Strang ziehen und den Nutzen der Digitalisierung erfolgreich vermitteln. Dann werden irgendwann Berührungsängste keine Rolle mehr spielen.

Welche ethischen Herausforderungen siehst du auf die Gesellschaft zukommen?

Im Zuge der Digitalisierung entstehen viele Herausforderungen, wie der Umgang mit persönlichen Gesundheitsdaten. Das betrifft eine gesicherte Weitergabe von Gesundheitsdaten sowie den Schutz vor Zugriffen außerhalb und innerhalb einer Organisation. So sollten die Patient*innen selbst über die Weitergabe ihrer Daten entscheiden können.

Viele Menschen fühlen sich in ihrer Autonomie und Selbstbestimmung bedroht. Es muss geklärt werden, wie Patient*innen befähigt werden zu entscheiden, welche Daten an welcher Stelle wichtig oder eben auch heikel sein können. Auch der Umgang mit Personen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht in der Lage für solche Entscheidungen sind, sich aber nicht in einer akuten Notfallsituation befinden.

Durch Digitalisierung werden nicht immer alle Menschen mitgenommen. Wie kann die Gesellschaft das auffangen?

Tatsächlich sind wohl vor allem die jüngeren Patient*innen als „Digital Natives“ der Digitalisierung des Gesundheitswesens gegenüber besonders aufgeschlossen, während bei den älteren Generationen tendenziell mehr Skepsis vorherrscht.

Die Gesundheitswirtschaft ist ein komplexe Struktur mit einer großen Anzahl an Akteuren und Interessengruppen, die teilweise die Vermittlungsinstanz zwischen Politik und der Gesellschaft, bzw. den Patient*innen darstellen. Die Politik sollte die Rahmenbedingungen schaffen und die Interessenvertreter sollten die Patient*innen in den Mittelpunkt stellen. Krankenversicherungen beispielsweise erreichen die Versicherten direkt. Diese werden ohnehin aufgrund des sich minimierenden Kostenfaktors auch später einmal große Gewinner der Digitalisierung sein.

Deiner Einschätzung nach: Was muss passieren, dass die Nutzerakzeptanz in der Gesellschaft für digitale Gesundheit noch größer wird?

Kommunikation spielt hier eine elementare Rolle! Die Öffentlichkeit sollte mehr in Entscheidungsprozesse integriert werden und das Bewusstsein für die Vorteile geschärft werden. Das bedarf einer Aufklärung

Der Öffentlichkeit sollte bewusst gemacht werden, welche Vorteile die Digitalisierung mit sich bringt und dass letztendlich vor allem auch die Patient*innen von den neuen Möglichkeiten profitieren. Anstatt in Panik vor neuen Technologien auszubrechen, sollten wir uns mit ihrem Umgang und Möglichkeiten vertraut machen. Die Wartezeiten auf einen Arzttermin verringern sich, Diagnosen können sichergestellt und Therapien individualisiert werden. Der Personalmangel im Krankenhaus kann minimiert und Berufszweige in ihren alltagspraktischen Tätigkeiten entlastet werden. So können sich Ärzte und Ärztinnen und die Pfleger*innen mehr Zeit für die Patient*innen nehmen.

Ein entscheidender Aspekt ist der angesprochenen Datenschutz, die Nutzer*innen brauchen Sicherheit und möchten selbst entscheiden, was mit den Daten passiert und mit wem sie diese teilen, das muss seitens der Politik klar geregelt werden. Außerdem sollten Patient*innen keine Nachteile dadurch entstehen, wenn sie sich gegen eine Nutzung etwa der elektronischen Patientenakte oder anderer digitaler Gesundheitsanwendungen entscheiden, so dass auch kein gesellschaftlicher Druck entsteht. Der Anspruch auf nicht-digitale Behandlungsmethoden muss weiterhin bestehen bleiben.

Prozesse, auf die wir als Gesellschaft keinen Einfluss haben, sind oft zu intransparent und es fehlt das Vertrauen in die Politik, da konkrete Konzepte zur Umsetzung fehlen. Ein Beispiel dafür ist das papierlose bzw. das eRezept, dessen Umsetzung sich seit Jahren hinzieht, wohingegen andere europäische Länder dieses seit Jahren nutzen.

Außerdem sollte klar kommuniziert werden, dass es auch Grenzen in der Digitalisierung gibt, vor allem, dass eine Künstliche Intelligenz niemals den Arzt oder die Ärztin ersetzen wird. Der Arzt erfährt lediglich eine erfolgreiche Unterstützung!

Laura Siebertz, Leiterin Presse und Kommunikation bei dermanostic

Laura Siebertz

Unsere Head of PR & Communication studierte Medien- und Kulturwissenschaften an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg. Nach verschiedenen beruflichen Stationen im Bereich Startup, Lifestyle und Kultur wurde im Zuge der Corona-Krise ihr Interessen am Gesundheitswesen geweckt. Besonders am Herzen liegen ihr dabei die Themen: Ethische Aspekte im Bereich Digital Health, die Nutzerakzeptanz und die Patientensicherheit.

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Johanna Vogel

Verfasst von Johanna Vogel

Johanna Vogel studiert im Master Kommunikationswissenschaft und Germanistik an der Universität Duisburg-Essen. Bei dermanostic arbeitet sie in den Bereichen Presse und Kommunikation. Sie beschäftigt sich vor allem mit den Themen Digitalisierung, eHealth und asynchroner Kommunikation und deren Bedeutung für Arzt und Patienten.