Welche Trends – aus medizinischer Sicht – wirklich bedenklich sind
Dr. Alice Martin 12.12.2022
Je drastischer, schockierender und kurioser, desto besser – das gilt für Skincare Trends auf Social Media. Selbst gemischte Gesichtsmasken mit Zutaten aus dem Kühlschrank oder DIY-Kaffeepeelings waren gestern. Heute: Chlorophyll-Drinks gegen Akne, Periodenblut als Gesichtsmaske, Skin Cycling und Sonnencreme aus der eigenen Küche (Hallo Hautkrebs!).
Trends in der Hautpflegewelt gab es schon immer. Wie aus dem Nichts tauchen sie auf und verbreiten sich wie ein Lauffeuer mit millionenfachen Klicks. Einige Trends lassen sich ganz nach dem Motto „You do you“ („Tu, was Dir guttut“) abnicken. Wenn Olivenöl Dein persönliches Wundermittel für glänzende Haare ist und Zahnpasta oder Honig jeden Pickel verschwinden lassen, spricht erst mal nichts gegen diese Trends. Der Griff in den Kühl- oder Küchenschrank ist allerdings auch alles andere als unbedenklich. Potenziell schädlich und gefährlich für Deine Haut wird es nämlich, wenn saure oder basische Produkte wie Backpulver, Essig oder Zitronensäure ins Spiel kommen. Weder pH-Wert noch Konzentration lassen sich bei eigener Mixtur sicher abschätzen, weswegen wir Dir stattdessen zur Anwendung gebrauchsfertiger chemischer Peelings raten. Doch es sind nicht unbedingt die altbewährten Hausmittel und Rezepte, die viral gehen. Stattdessen kursieren auch fahrlässige oder gar gefährliche Methoden für das „Plumpen“ der Lippen, Microneedling „at home“ oder die Herstellung eigener Sonnencreme. Jegliche (minimal)invasive Eingriffe und Behandlungen, bei denen Nadeln (Microneedling/Dermaroller) oder Rasierklingen (Dermaplaning) zum Einsatz kommen, sollten grundsätzlich nur von einer kosmetischen oder medizinischen Fachkraft oder nach gründlicher Einweisung (u. a. über die Hygiene- und Desinfektionsmaßnahmen) zu Hause durchgeführt werden. Bei Sonnenschutz verstehen wir keinen Spaß. Sonnenstrahlung ist und bleibt der größte Risikofaktor für Hautkrebs, eine der häufigsten Krebserkrankungen in Deutschland.
Dieser Trend ist für wahrhafte Skincare-Nerds und -Enthusiast*innen. Wessen Hautpflege nur aus einem Reinigungsprodukt und einer Creme besteht, ist hier fehl am Platz. Das Prinzip hinter Skin Cycling ist einfach: Bestimmte Produkte bzw. Inhaltsstoffe der täglichen Abendroutine werden regelmäßig (zyklisch) ausgetauscht. Der ursprüngliche Trend sieht an Tag 1 ein chemisches Peeling vor, das an Tag 2 durch ein Retinoid und an Tag 3 und 4 durch reparierende und stärkende Cremes ersetzt wird. Skin Cycling im weiteren Sinne beschreibt die regelmäßige, aber nicht tägliche Verwendung eines Produktes in einem festen Rhythmus. Die Idee ist keinesfalls neu: Skin Cycling hat auch in der Dermatologie seinen festen Platz, ohne dass es unter dieser Bezeichnung bekannt ist. Klassischerweise wird nämlich bei der Verschreibung von höher konzentrierten Retinoiden (z.B. Adapalen in der Akne-Behandlung) empfohlen, diese einschleichend in die Hautpflege einzubauen. Dabei wird mit der Anwendung jeden 3. Tag begonnen und erst bei guter Verträglichkeit auf die tägliche Anwendung gesteigert. Auf diese Weise kann sich die Haut an stark wirksame und/oder potenziell irritierende Wirkstoffe gewöhnen; einige sind auch grundsätzlich nicht oder nur in Ausnahmefällen für die tägliche Anwendung geeignet. Neben den Retinoiden fallen auch die o. g. chemischen Peelings in diese Kategorie. Sie kommen in den verschiedensten Formen, Wirkstärken und Konzentrationen daher – „One size fits all“ gibt es hier nicht. Letztlich entscheidet daher die individuelle Hautbeschaffenheit, wie oft ein Produkt angewendet werden kann und soll. Ein sanftes Peeling für den täglichen Gebrauch ist, wenn es nur 1 oder 2x pro Woche verwendet wird, möglicherweise nahezu oder vollkommen nutzlos. Auch im Rahmen der Behandlung oder Bekämpfung spezifischer Hautprobleme, z.B. Akne, ist die tägliche Anwendung von Wirkstoffen wie Salicylsäure oft notwendig, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Auf der anderen Seite kann die tägliche Anwendung eines hoch konzentrierten, intensiven Peelings zu gefährlichen Hautreaktionen führen. Skin Cycling funktioniert jedoch nicht ausschließlich mit Retinoiden oder chemischen Peelings. Vielleicht stellst Du auch einfach fest, dass Deine Haut einmal pro Woche eine reichhaltige Pflege braucht, die jeden Tag zu viel wäre. Oder Du möchtest verschiedene Wirkstoffe, z.B. Vitamin C, Hyaluronsäure und Niacinamide, in Deiner Routine unterbringen, ohne jeden Abend ein Dutzend Produkte verwenden zu müssen. Dann kann die Anwendung an verschiedenen Tagen eine Option sein, um die abendliche Routine kurzzuhalten und Wechselwirkungen der Inhaltsstoffe zu vermeiden. Zu viele Wirkstoffe auf einmal können mehr schaden als nutzen – weniger ist bekanntlich mehr!
Fazit: Wie oft und wann ein Produkt bzw. Wirkstoff bestmöglich angewendet werden sollte, hängt vom Produkt, Deiner Haut und dem gewünschten Effekt oder Behandlungserfolg ab. Skin Cycling kann, muss aber nicht für jede*n funktionieren. Höre auf Deine Haut!
Was aussieht wie grünes Wasser und als Wundermittel bei unreiner Haut angepriesen wird, ist Chlorophyll. Chlorophyll: Schonmal gehört, aber was war das nochmal? Vielleicht hast Du dunkle Erinnerungen an den Biologie-Unterricht in der Schule, denn Chlorophyll ist der grüne Farbstoff der Pflanzen, der für die Photosynthese wichtig ist. Es ist als intensiv dunkelgrüne Flüssigkeit in Tropfen- oder Flaschenform erhältlich und wird meist in Wasser gelöst und getrunken. Angeblich schmeckt es nach Gras, Algen oder „Teich“. Woher der Trend kommt, ist unklar. Es gibt keinerlei handfeste Studien über die Auswirkungen von Chlorophyll-Einnahme auf die Haut. Es existieren lediglich eine Handvoll, überwiegend sehr kleine und nicht repräsentative Studien, in denen Chlorophyll auf die Haut aufgetragen (nicht eingenommen) und zum Teil mit weiteren Behandlungsmethoden wie Phototherapie kombiniert wurde. Vergleichbare Vitamine und Mineralstoffe wie eine Portion Gemüse enthalten ein paar Tropfen Chlorophyll übrigens auch nicht. Um eine gesunde und ausgewogene Ernährung kommst Du nicht drumherum, nicht nur Deiner Haut zuliebe.
Fazit: Ein paar Tropfen Chlorophyll im Wasser gegen unreine Haut? Aus medizinischer Sicht gibt es keine Beweise für eine Wirkung. Wer den Trend dennoch ausprobieren möchte, kann das jedoch tun. Potenzielle Gefahren oder Schäden sind nicht zu erwarten. Den größten Unterschied spürt wahrscheinlich der Geldbeutel. Aber warum dann nicht einfach auf jahrelang erprobte und bewiesenermaßen wirksame Wirkstoffe gegen Pickel und Akne zurückgreifen? Mit der geeigneten Therapie kann Akne gut und effektiv behandelt werden. Lass Dich von unseren Hautärzt*innen beraten.
Bei Anblick des ein oder anderen Trends entsteht fast der Eindruck, Hautkrebs existiere auf Social Media nicht. Beim Sunscreen Contouring werden beim Auftragen der Sonnencreme bewusst bestimmte Regionen des Gesichts oder des Körpers ausgelassen, um einen unterschiedlichen Bräunungsgrad zu erzielen. Dadurch soll beispielsweise das Gesicht optisch geschmälert/geformt oder die Nase verkleinert werden – analog zum Contouring mit Make-up. Sei es ein Hauch dunkles Puder unter den Wangenknochen oder eine komplette Transformation wie am Filmset – das Prinzip funktioniert. Der fehlende Sonnenschutz an den jeweiligen Stellen bedeutet jedoch eines: ein erhöhtes Risiko für Hautkrebs. Contouring mit Make-up oder Selbstbräuner (Selftan Contouring) kann die gleichen Ergebnisse erzielen und das ganz ohne Hautkrebsgefahr. Das Beste, was Du tun kannst, um Dich vor Hautkrebs zu schützen, ist der Schutz vor UV-Strahlung. Abgesehen vom Meiden der Sonne, schützender Kleidung und Kopfbedeckungen besteht der Schutz aus Sonnenschutzmitteln. Anleitungen bzw. Rezepte für die Herstellung eigener Sonnencreme versprechen auf Social Media einen natürlicheren und sicheren Schutz ohne „Chemie“. Das ist de facto falsch. Sonnenschutzmittel sind extrem anspruchsvoll in der Produktion und Herstellung und werden gemäß strenger EU-Regularien überprüft und getestet, um den deklarierten Schutz zu gewährleisten. Ein sicherer Schutz wird durch eine Kombination von UV-Filtern erreicht, die gegen UV-A und UV-B-Strahlung schützen. Dabei muss einerseits die korrekte benötigte Menge der jeweiligen UV-Filter beachtet werden, andererseits müssen die UV-Filter auch in Lösung gebracht werden, sodass eine geeignete Konsistenz entsteht. Darüber hinaus muss die Stabilität der Filter gewährleistet werden, sodass diese nicht unwirksam werden.
Fazit: Einen sicheren und wirksamen Sonnenschutz bieten nur käufliche Sonnenschutzmittel mit entsprechend gekennzeichnetem Sonnenschutz und korrekter Anwendung (Menge, Applikation). Jeder ungeschützte Kontakt mit der Sonne erhöht das Hautkrebsrisiko.
Verfasst von Dr. Alice Martin
Dr. med. Alice Martin ist Hautärztin in Weiterbildung und Mitgründerin der Online-Hautarztpraxis dermanostic. Sie ist leidenschaftliche Vermittlerin für dermatologische Themen und deshalb bei dermanostic für die Patientenkommunikation zuständig.