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Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung: Herausforderungen und Chancen

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Laura Siebertz 07.02.2022

Eine zeitgemäße Gesundheitsversorgung durch digitale Lösungen, wie die Elektronische Patientenakte (ePA), E-Rezept oder Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) steht noch am Anfang. Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung ist der Branchenvertreter für eHealth-Unternehmen und vereint seit Dezember 2019 mittlerweile über 160 Unternehmen. Das Ziel des Spitzenverbandes ist es, die Interessen der jungen Branche im Gesundheitssystem gegenüber Öffentlichkeit, Politik und anderen Partnern des Gesundheitswesens zu vertreten. Wir haben Dr. Anne Geier, Geschäftsführerin des Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung, zu Herausforderungen für junge Unternehmen, Innovationen und Orientierungsmöglichkeiten für eine hochwertige Gesundheitsversorgung befragt.

Sie sind studierte Pharmazeutin, woher kommt Ihre Leidenschaft für die Digitalisierung im Gesundheitswesen?

Ich bin schon sehr lange am Thema interessiert gewesen. Bereits im Studium fand ich das Thema Datennutzung und die dazu entstehenden Potentiale sehr spannend. Gerade auch in der Pharmazie ist das Thema Datennutzung ja ein relevantes. Ich habe auch meine Promotion zu dem Thema gemacht und festgestellt, dass wir in Deutschland hinter unseren Möglichkeiten zurückbleiben, was digitale Unterstützung und Datennutzung angeht. Von meiner Schwester, sie ist Ärztin, bekomme ich das regelmäßig aus der Alltagspraxis gespiegelt, ebenso von Freunden aus der Apotheke. Außerdem habe ich schon seit Jahren Freunde in der Digital Health Gründerszene und habe so schon immer mitbekommen, was es bedeutet im hochregulierten Gesundheitsmarkt zu gründen.

Der Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung e.V. gilt als Branchenvertreter für E-Health-Anbieter in Deutschland. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Ihre Mitglieder?

Wir haben natürlich hohe Eintrittsbarrieren, was den Markt der gesetzlichen aber auch privaten Krankenversicherungen angeht. Es ist so, dass die Unternehmen oft schon viele regulatorische Hürden gehen müssen, um mit den eigenen Leistungen erstattungsfähig zu werden. Es fehlen zum Teil Vergütungsregeln für innovative Lösungen. Die Vergütungsregeln, die wir haben, sind häufig sehr komplex. Unternehmen haben im Gesundheitsmarkt unter vielen Herausforderungen zu kämpfen. Und anders als in anderen Ländern, wie zum Beispiel im amerikanischen Raum, ist die Zahlungsbereitschaft für Gesundheitsleistungen bei Versicherten nicht besonders hoch. Hier läuft sehr vieles mehr über die Erstattung der Versicherung.

Die Zahl der eHealth-Apps in den App Stores ist hoch. Wie können Ärzte und Patienten eine Orientierung erhalten, welche Apps auch wirklich einem hohen medizinischen Standard entsprechen?

Wenn ein Patient in die Arztpraxis kommt und sagt er möchte eine digital unterstütze Therapie bekommen, ist die DiGA als zugelassene Anwendung natürlich sehr interessant und relevant. Nur hier besteht die Möglichkeit einer Erstattung durch die Krankenkasse und ein aufwendiges Prüfungsverfahren hinsichtlich der Datenschutzregularien kann gewährleistet werden. Hinsichtlich der Interoperabilität und eines nachweislichen Nutzen kann das DiGA-Verzeichnis eingesehen werden, dem Arzt steht dieses auf der BfArM Homepage zur Verfügung. Wenn es um eine Anwendung geht, nach der der Patient im App-Store schaut, dann ist die CE-Kennzeichnung ein Qualitätskriterium, das man hinzuziehen kann. Und es kommt natürlich auf die Erkrankung an. Wenn beim Arzt eine klare Diagnose vorliegt, dann kann für eine bestimmte Erkrankung eine DiGA eine sehr gute Wahl sein.

Patienten sowie Ärzte stehen den digitalen Gesundheitslösungen noch mit einer Skepsis gegenüber. Wie können diese abgeholt werden?

Da haben wir noch viel zu tun! Auf der einen Seite haben die Ärzte einen unglaublich stressigen Praxisalltag und darüber hinaus müssen sie sich noch über neue digitale Unterstützungsmethoden und Therapien, informieren. Hier ist es wichtig, auf sie zuzugehen und ihnen übersichtliche Schulungen anzubieten und den Mehrwert dafür herauszustellen.  Bei der DiGA hat der Arzt zusätzlich die Möglichkeit, einen Patienten weiter zu therapieren, sie bietet noch einmal ganz andere Interaktionsmöglichkeiten. Die Vorteile müssen sich im Alltag zeigen. DiGAs müssen einfach gestaltet sein, sind sie zu komplex, dann verliert man die Patienten auf der Reise. Das muss auch bei der Gematik (Nationale Agentur für Digitale Medizin) und dem digitalen Ökosystem, das wir bauen, mitgedacht werden.

Die Ärzte sind oft die ersten Ansprechpartner. Die Apotheke hingegen findet noch zu wenig Beachtung bei der digitalen Transformation, hat aber Potential, zukünftig mehr zur digitalen Gesundheitsversorgung zu informieren. Die Nutzung der DiGA kann der informierte Patient auch selbst anstoßen und sich über das DiGA-Verzeichnis informieren. Die allermeisten Patienten kommen jedoch weiterhin über die Verordnung von einem Arzt, der die Diagnose vorab stellt und entsprechend eine DiGA empfehlen kann.

Immer mehr Start-ups drängen in den Bereich der digitalen Gesundheitsversorgung. Wo sehen Sie die größten Chancen für Start-ups?

Wir werden in allen Bereichen große Umbrüche sehen, das System wird in fünf Jahren nicht mehr das gleiche sein. Die Ärzte werden nicht mehr so umfangreiche bürokratische Aufwendungen haben, wie wir es jetzt kennen. Es wird viele Unternehmen im Bereich innovativer Therapieformen, der administrativen Optimierung der bestehenden Besorgungspfade geben. Ich glaube, in allen Bereichen des Gesundheitssystems werden wir neue Lösungen sehen.

Ich glaube, dass es extrem wichtig war, DiGAs als eine Form der digitalen Therapie in die Regelversorgung zu überführen. Hier ist es wichtig, darauf aufzubauen und die Innovationsfreude auch in anderen Bereichen einziehen zu lassen. Ich glaube, wir müssen das viel chancenorientierter diskutieren. Es gibt ja auch starke Stimmen dafür, wie der Sachverständigenrat für Gesundheit, der darauf hinweist, wie wichtig gute Datensätze für eine Weiterentwicklung der Forschung sind. Es wird viel zu wenig chancenorientiert diskutiert. Wir müssen aufpassen, dass wir die Regulatorien im digitalen Bereich nicht so hochschrauben, dass der Nutzer nicht die Lust verliert, weil sie zu unpraktikabel sind. Und wir sollten uns mehr die Frage stellen: Was braucht die Versorgung zur Weiterentwicklung?

Laura Siebertz

Verfasst von Laura Siebertz

Laura Siebertz leitet die Presseabteilung von dermanostic und ist verantwortlich für die Fachredaktion der Rubrik Digital Health auf dem Unternehmensblog. Sie studierte Kultur- und Medienwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und beschäftigt sich vor allem mit den Themen Health-Apps, ethischen Aspekten der Digitalisierung, Nutzerakzeptanz und Patientensicherheit.