Laura Siebertz 15.04.2022
Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz kann für viele Bereiche in Industrie und Versorgungswirtschaft zu einer höheren Qualität, Präzision und Verlässlichkeit führen. Doch dafür muss die Nutzung der KI erst mal selbst verlässlich werden. Vor diesem Hintergrund braucht man neue Herangehensweisen in den Arbeitsbereichen der KI-Entwicklung und KI-Nutzung mit enger Verzahnung zwischen den Expertisen der Entwickler- und der Anwenderdomäne, z.B. der Arbeitsfelder der Data Scientists mit denen der Radiologie. Dafür schaffen wir ein Prozessleitbild für veränderte Arbeitsorganisationen und Arbeitsrollen. Bedeutend dabei ist zu verstehen, dass Aufgaben nicht wegrationalisiert werden sollen und menschliche Arbeit von Technik übernommen wird. Es geht vielmehr darum, dass Technik durch Verzahnung mit menschlicher Expertise besser wird, so dass die Möglichkeit besteht, die Arbeitsplätze weiterzuentwickeln und die Potenziale der KI zu nutzen. So wächst dann auch die Akzeptanz gegenüber der KI und man kann von einer humanzentrierten Arbeit sprechen. Wir begreifen uns nicht als Kompetenzzentrum für rein technische Entwicklungen, sondern für die Gestaltung von Arbeitsprozessen unter Nutzung maschineller Lernverfahren.
Wir haben an der Ruhr-Universität Bochum vergleichsweise viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen mit maschinellen Lernverfahren und der Nutzung von KI auseinandersetzen. Wir haben angefangen, diese Expertise disziplinübergreifend zu bündeln und ganzheitliche Lösungen aufzuzeigen. Daraus ist das Prozessleitbild erwachsen. In 2019 haben wir uns dann gemeinsam an einer großen Ausschreibung des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beteiligt, auf die sich deutschlandweit 45 Konsortien beworben haben. Wir haben uns in dem intensiven Wettbewerb gemeinsam mit drei weiteren Kompetenzzentren durchgesetzt. Später sind noch vier weitere Zentren hinzugekommen, die als Kompensation für den Kohleausstieg gefördert werden.
Bei HUMAINE sind neun Fachgebiete involviert, ich selbst komme aus den Wirtschafts- und Arbeitswissenschaften. Außerdem sind in unserem Team Kolleginnen und Kollegen aus der Neuroinformatik (maschinelles Lernen), dem Maschinenbau, der Kommunikationsakustik (Elektrotechnik), dem Sales Engineering, der Gesundheitsforschung, der Wirtschaftspsychologie und den Sozialwissenschaften, hier mit spezifischer Ausrichtung auf Fragen der Arbeitnehmerbeteiligungen, vertreten.
Es geht ja um eine menschenzentrierte Nutzung von künstlicher Intelligenz. So haben wir für das Akronym des Kompetenzzentrums nach Wortspielen im deutschen und englischen geschaut, im Englischen hört es sich schöner an, mit Human und AI. Wir möchten damit ausdrücken, dass es um ein Zusammenspiel der menschlichen Arbeitsleistung und der künstlichen Intelligenz geht, um zu Lösungen zu kommen. Passend dazu zeigt unser Logo noch einmal, wie die AI als schützendes Dach über den Menschen ausgebreitet ist, so dass man eine Verbindung schaffen kann: Ein Zusammenspiel menschlicher Intelligenz und künstlicher Intelligenz, das gemeinsam zu Lösungen kommt.
Wir arbeiten mit Unternehmen aus verschiedenen Bereichen zusammen, der Industrie und dem Gesundheitswesen. Es sind auch Banken und Versicherungen zu nennen. Zu Beginn der Projektanfangsphase haben wir von uns aus Unternehmen kontaktiert, es haben sich aber - nachdem sie von der Antragsinitiative erfahren haben - auch Unternehmen von sich aus an uns gewendet. Bei den Unternehmen geht es z.B. um neue Geschäftsmodelle, neue Ansätze in der Qualitätsprüfung, neue Formen des Arbeitseinsatzes in Bereichen mit KI-Nutzung, darauf bezogene Beteiligungsfragen etc. Trotz der unterschiedlichen fachlichen Ausrichtungen gibt es Synergien aus einer übergeordneten gemeinsamen Logik. Das heißt, ein Prozessleitbild das von uns entwickelt wird, ist übergreifend auf alle Bereiche anwendbar. Das ist eben das Spannende, dass man sowohl im Sinne technologischer Gestaltung von Arbeitsprozessen trotz der sehr unterschiedlichen Anwendungsfelder wiederum gemeinsame Standards definieren kann.
Im Bereich der Radiologie kann durch Nutzung von KI bei der Bildauswertung ein enormer Entwicklungsbeitrag geleistet werden, wie beispielweise Anomalien erkennen. Diese sind für das menschliche Auge teilweise sehr schwer zu erkennen und erfordern viel Berufserfahrung. KI kann helfen zu detektieren, aber sie muss dafür gut trainiert sein. Das hängt sehr stark davon ab, mit welchen Daten die KI vorher gefüttert wird. Medizinische Auswertungen und Dokumentationen, die dafür verwendet werden, sind nicht immer korrekt. Wenn die Daten aber nicht verlässlich aufbereitet sind und fehlerhaft, dann wirkt sich das negativ auf die Verlässlichkeit der KI aus. Eine schlechte Dokumentation war vielleicht früher nicht so schlimm, ist aber natürlich in dem Moment von Relevanz, wenn man sie für eine übergeordnete Nutzung heranziehen möchte. Die Fehler müssen bereinigt, verstanden und klassifiziert werden. Dazu braucht man die medizinische Expertise, nicht nur die der KI-Entwicklung, um das erreichen zu können. Derjenige, der mit einer KI-gestützten Diagnose arbeiten soll, muss diese selbstverständlich verlässlich heranziehen und die Entscheidung auch verantworten können.
Anders stellt es sich in einem verwandten Arbeitsbereich, der medizinisch technologisch radiologischen Assistenz dar. Dort nimmt man erst einmal das an, was technologisch geliefert wird. KI ist in Maschinen verbaut Hier wird eher die Frage aufgeworfen, ob die Maschine die eigene Arbeitskraft verdrängt oder in ihrer Expertise abwertet im Sinne von: muss ich bei meiner Tätigkeit nur noch auf einen Knopf drücken oder nach welcher Expertise, die ich mit meiner Ausbildung erworben habe, wird noch gefragt? Wenn das nicht klar und greifbar für die Betroffenen beantwortet werden kann, dann muss man sich den Fragestellungen intensiver annehmen, wie sich Arbeits- und Jobprofile weiterentwickeln.
Es gibt Unternehmen, die die KI potentiell für eine wirtschaftliche Weiterentwicklung nutzen möchten, aber den Implementierungsprozess und die Veränderung von Arbeitsrollen bei diesen Überlegungen tendenziell vernachlässigt haben. Dann entstehen starke Vorbehalte, die als Technologieakzeptanzproblem beschrieben werden. Das basiert dann nicht auf grundsätzlicher Ablehnung, sondern beruht auf ersten negativen Erfahrungen.
Hinzu kommt, dass medial teils abstruse Bilder gezeichnet werden, die dann zu Ablehnung führen, auch wenn sie mit der Nutzung von KI im Arbeitsalltag wenig zu tun haben. Den medialen Bildern nach nehmen dann menschenähnlich aussehende Roboter den Arbeitskräften die Jobs weg. Das hat zwar mit der Realität wenig zu tun, lenkt aber Debatten in eine bestimmte Richtung. Mit solchen Bildern muss man erst einmal umgehen können und diese einordnen, um zu zeigen, dass es schon immer Bereiche gegeben hat, z.B. weil sie sehr monoton sind, die man automatisiert hat, aber zugleich vieles Neues entsteht und die Technologie den arbeitenden Menschen sehr darin unterstützen kann die eigene Professionalität weiter auszubauen.
Der zentrale Punkt ist nach unseren Untersuchungsergebnissen die Expertise der Arbeitskräfte. Umso genauer sie wissen, worum es bei KI geht, umso höher ist die Akzeptanz, weil sie die Möglichkeiten und Grenzen klar einordnen können und sich dann auch nicht bedroht fühlen. Das Alter spielt hier indirekt, aber nicht als eigentlicher Punkt mit rein. Ältere Mediziner haben in ihrer Ausbildung den aktuellen Stand zur KI noch nicht mitbekommen, bei Jüngeren ist das anders und damit einhergehend die Affinität sich auf diesem Gebiet die Expertise zu erarbeiten, stärker verankert.
Unsere Studie an der Charité zeigt darüber hinaus, dass das Thema KI nicht losgelöst ist von der allgemeinen Erfahrung mit Digitalisierung. Ist die Digitalisierungserfahrungen insgesamt positiv, dann ist auch die Aufgeschlossenheit gegenüber KI höher und umgekehrt. Man kann das Thema KI nicht isoliert betrachten, weil es aus dem Arbeitserleben der Betroffenen mit allgemeinen Erfahrungen zur Digitalisierung überlappt.
Junge Assistenzärzte erfahren zumeist in Forschungsgruppen, insbesondere in forschungsintensiven Unikliniken, eine Auseinandersetzung mit dem Thema KI. In den klinischen Standard- und Alltagsprozessen könnte weitaus mehr Befassung erfolgen, indem man gemeinsam über Veränderungen in Arbeitsprozessen nachdenkt und in einen kontinuierlichen Austausch über Entwicklungsperspektiven eintritt. Dies sollte zumindest ein kleiner Teil im Arbeitsprozess sein. Dort fehlt oftmals die Zeit dafür.
Aber das macht Startvoraussetzungen für Veränderungen nicht besser und führt später dann zu Akzeptanzproblemen.
Beschäftigte erwarten nicht immer nur fertige Antworten, sie wollen über Entwicklungen Bescheid wissen und diese mitgestalten können. Um sich Gestalter und nicht als Opfer zu sehen, sind Expertise und Beteiligung an Entwicklungsvorhaben zentrale Voraussetzungen.
Verfasst von Laura Siebertz
Laura Siebertz leitet die Presseabteilung von dermanostic und ist verantwortlich für die Fachredaktion der Rubrik Digital Health auf dem Unternehmensblog. Sie studierte Kultur- und Medienwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und beschäftigt sich vor allem mit den Themen Health-Apps, ethischen Aspekten der Digitalisierung, Nutzerakzeptanz und Patientensicherheit.