Lipödem- das oft verkannte Frauenleiden
Wie man erste Anzeichen erkennt und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt.
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Dr. med. Meike Finkenrath 14.10.2025
Das Lipödem ist ein schmerzhaftes Krankheitsbild, das jahrelang missverstanden wurde. Erst die richtige Diagnose und Aufklärung schaffen Klarheit – und ermöglichen eine passende Behandlung.
Seit dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA)* 2019 zur Kostenübernahme einer Absaugung des krankhaften Fettgewebes bei Lipödem im Rahmen einer zeitlich begrenzten Pilotstudie erhielt die Erkrankung erstmals mehr Aufmerksamkeit.
Spätestens seit dem 17.07.2025, seit der G-BA die Kostenübernahme für gesetzlich Versicherte Patientinnen festgelegt hat, rückt ein Krankheitsbild in die Öffentlichkeit, das bislang nicht anerkannt wurde. Diese Erkrankung wurde bei den betroffenen Frauen und in den Familien oft totgeschwiegen. Die Frauen wurden meist als „übergewichtig“ diagnostiziert und ihnen wurde angeraten „einfach abzunehmen“.
Doch so „einfach“ gestaltet sich das Abnehmen bzw. die Therapie bei einer schmerzhaften disproportionalen Fettverteilungsstörung (ungleichmäße Fettverteilung) nicht, die sich durch einen schmalen Oberkörper und ausladende Armen und Beinen auszeichnet.
Seit 2019 erlangte das Krankheitsbild endlich auch in Medizinerkreisen Aufmerksamkeit und es wurde die Forderung nach einer deutschlandweit gültigen Leitlinie zur Diagnostik, Behandlung und zur Wahrnehmung des Krankheitsbildes als eigenständige Erkrankung laut.
So erschien im Januar 2024 die erste Leitlinie „Lipödem“ (AWMF-Registernummer 037-012). Die Definition darin: „Das Lipödem soll als schmerzhafte, disproportionale, symmetrische Fettgewebsverteilungsstörung der Extremitäten beschrieben werden, die ausschließlich bei Frauen vorkommt.“ Sehr wichtig für viele Betroffene ist hierbei die Aussage in der Leitlinie, dassdas Lipödem nicht durch eine Adipositas (Übergewichtigkeit) bedingt ist oder seinerseits eine Adipositas bedingt – ein erster Weg, den Patientinnen eine vernünftige Therapie zukommen zu lassen, weg von der Stigmatisierung als „einfach fett oder übergewichtig“.
Seit 2019 hat sich ein weites Feld derjenigen aufgetan, die einen eigenen Gewinn aus der neu definierten Erkrankung ziehen möchten. Im Anschluss an den G-BA-Beschluss nutzten viele Praxen diese für ihre Öffentlichkeitsarbeit und boten Patientinnen Fettabsaugungen als Selbstzahlerleistung von bis zu 20.000 € an – häufig ohne fundierte Diagnose oder eine Behandlung gemäß der G-BA-Leitlinie. Umso wichtiger ist es, die passende Ärztin oder den passenden Arzt zu finden, der oder die gewissenhaft nach Leitlinien arbeitet und sich auf die Gesundheit der Patientinnen konzentriert. Wir benötigen also in den nächsten Jahren viel Aufklärungsarbeit über die Erkrankung – weg vom „sich schämen“ und der Stigmatisierung hin zu gesunden, individuellen und adäquaten Behandlungsempfehlungen. „Bodyshaping“ sollte dabei die Therapie des krankhaften Fettgewebes sein, nicht „Bodyshaming“, und stets auf einer fundierten Diagnose basieren.
Auch in der neuen Leitlinie werden in nächster Zeit viele weitere Forschungsarbeiten ausgewiesen, die nötig sind, um die Erkrankung immer besser zu verstehen.
Was mache ich, wenn ich den Verdacht habe, dass bei mir ein Lipödem vorliegt?
Bei Verdacht auf ein Lipödem, also wenn Du ohne erkennbaren Grund Schmerzen in Form eines dumpfen Schwellgefühls mit Berührungs-/Druckschmerzen in den Beinen hast, Flüssigkeitseinlagerungen, die im Tagesverlauf schlimmer werden, einer Neigung zu „blauen Flecken“, sollte eine Phlebologin oder ein Phlebologe aufgesucht werden.
Die Phlebologie meint eine medizinische Zusatzbezeichnung verschiedener medizinischer Fachrichtungen, die am häufigsten bei Gefäßchirurg:innen und Hautärzt:innen zu finden ist. Oft treten die ersten Symptome in Phasen von hormoneller Veränderungen auf, am häufigsten in der Pubertät. Es kann jedoch auch bei Schwangerschaften oder in den Wechseljahren (Menopause) auftauchen.
Mach jetzt den Selbst-Check, um herauszufinden, ob es sich bei Deinen Symptomen um ein Lipödem handeln könnte:
• Entwickeln sich bei Dir deutliche Unterschiede in den Proportionen zwischen Ober- und Unterkörper?
• Betreffen diese überproportional Deine Beine und ggf. auch Deine Arme? Und sind Deine Hände und Füße nicht betroffen?
• Ist diese körperliche Veränderung im Rahmen der Pubertät, bei einer Hormoneinnahme (z.B. Pille) nach einer Schwangerschaft oder in den Wechseljahren aufgetreten?
• Kam die Entwicklung spontan und ohne ersichtlichen Grund?
• Ist Dir schon einmal aufgefallen, dass selbst bei Gewichtsabnahme die Umfänge DeinerBeine und oder Arme nicht oder kaum reagieren?
• Bekommst Du grundlos blaue Flecken?
• Verspürst Du Druckschmerz und ein Spannungsgefühl an den Beinen, und ggf. an den Armen?
• Siehst Du bei Dir eine Art „Cellulite“ an den Beinen bzw. Armen oder fühlt sich die Haut grob, knotig oder verhärtet an?
• Ist die Fettverteilung an den Extremitäten symmetrisch, also z.B. an beiden Beinen gleich?
• Leiden Frauen aus Deiner Familie am Lipödem, bzw. zeigen ähnliche Symptome?
Was sollte ich über die nicht-operative Therapie wissen?
Die Linderung der Schmerzsymptome und eine Verringerung der Wassereinlagerungen kann in vielen Fällen durch die komplexe Physikalische Entstauungstherapie (KPE) erreicht werden (siehe AWMF-Leitlinie Lipödem aus 02/24).
Die KPE (Komplexe Physikalische Entstauungstherapie) besteht aus:
• Manuelle Lymphdrainage (Dient dem Abbau von Gewebeflüssigkeit)
• Kompressionstherapie (Druckbehandlung zur Unterstützung des Lymphabflusses)
• Flachgestrickte Kompression (Speziell gefertigte elastische Kleidung, die Einschnürungen und ggf. ein mögliches zusätzliches Lymphödem verhindern soll)
• Bewegungstherapie (gezielte Übungen zur Förderung der Lymphzirkulation)
• Entsprechende Hautpflege
Was sollte ich über die operative Therapie wissen?
Aus der neuen, sehr aktuellen Leitlinie (AWMF-Leitlinie Lipödem 02/24) sowie aus der Studie nach G-BA-Beschluß bzgl. der Fettabsaugung bei Lipödem hat sich eine dauerhafte „Heilung“ des Lipödems nur durch eine adäquate Absaugung des krankhaften Fettgewebes ergeben. Dies hat die Bundesregierung mit einem Beschluss aufgenommen, so dass ab dem 17.07.25 eine Fettabsaugung bei Lipödem jeden Grades (man nimmt lt. Leitlinie von der Gradeinteilung Abstand) in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse aufgenommen worden ist.
* Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das wichtigste Beschlussgremium im deutschen Gesundheitswesen. Dort entscheiden Vertreterinnen der Krankenkassen, Ärztinnen, Krankenhäuser und Patientinnen gemeinsam über den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
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Verfasst von Dr. med. Meike Finkenrath
Dr. med. Meike Finkenrath ist Fachärztin für Dermatologie und Expertin für Venenleiden (Phlebologie) – besonders spezialisiert auf die Volkskrankheit Krampfadern. Sie legt großen Wert auf gendersensible Medizin und bringt dieses Wissen direkt in ihre Arbeit ein. Bei dermanostic teilt sie ihr Fachwissen als Gastautorin und gibt so wertvolle Einblicke in die Haut- und Venengesundheit.
